Initiativen
gegen die Rechtschreibreform
Die nationale und internationale außerparlamentarische und parlamentarische Opposition gegen die Rechtschreibreform (Über 50 Initiativen und Gruppen: Stand 04.11.1997)


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Die Situation in Deutschland

"Als Lehrer in Nordrhein-Westfalen bin ich leider heute schon genötigt, die neue Regelung anzuwenden; ich hoffe auf die baldige Durchsetzung der zweiten Stufe der Rechtschreibreform: ihre Abschaffung. Dr. Olaf Nüsser, Köln." (FAZ 16.09.97, S. 16). Diese Abschaffung könnte sich nun anbahnen, denn das Mitglied der Zwischenstaatlichen Rechtschreibkommission in Mannheim, Prof. Horst Haider Munske (Erlangen), hat ein Zeichen gesetzt: Laut einem Interview im SPIEGEL verließ Munske am 18.09.1997 als erster das sinkende Schiff der Rechtschreibreform und trat aus der Rechtschreibkommission aus! Das sollte eigentlich ein Signal für seinen Kultusminister Hans Zehetmair sein. Die Kommission war Munskes Forderung nach einem Aussetzen der Reform (DER TAGESSPIEGEL 05.07.97) und einer gründlichen Überarbeitung des Regelwerks nicht nachgekommen. Munske war klargeworden, daß die Kultusminister und die Mehrheit der Kommission eine gründliche Überarbeitung des Regelwerks vermeiden wollen. Bei seinem Austritt aus der Kommission erklärte er, "daß es nur eine Pflege, keine Reform der Orthographie geben kann." Die Reform versteige sich aber zu einer "Sprachplanung". Der Fehler liege in einem "Vereinfachungswahn". (DER SPIEGEL 22.09.97). Die so bezeichnete "Sprachplanung" ist, genauer ausgedrückt, eine Sprachmanipulation, weil die Reformer nicht nur in die Orthographie, sondern auch tief in den Bedeutungsbereich der Sprache eingegriffen haben (Grammatik, Semantik, Phonetik und Interpunktion). Dem Vereinfachungswahn unterliegen alle Reformer und Kultusminister, insbesondere der Vorsitzende der Kultusministerkonferenz, Prof. Rolf Wernstedt, dessen Ziel es ist, mit der Rechtschreibreform "das Herrschaftsinstrument Orthographie, mit dem wirklich Bedrückung betrieben werden kann", abzubauen (Pressespiegel des niedersächsischen Kultusministeriums vom 21.10.96, FAZ 27.01.97, S. 8). Diese Ideologie spiegelt sich in einem Klassendenken, in dem die Rechtschreibung zu einer "elitären Bildungshürde" einer "elitären Gesellschaftsschicht" aufgebauscht wird. Daher forderte Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers vor allem die SPD-Kultusminister auf, sich von den "bildungspolitischen Lebenslügen der 68er" zu verabschieden. Nicht jeder Schüler sei gleich bildungsfähig, richtiges Lernen strenge an, und Schule sei "keine Spaßveranstaltung".

Nach einer Umfrage der Zeitschrift "Forschung & Lehre" meinten 67 Prozent der deutschen Hochschulprofessoren, eine Rechtschreibreform sei grundsätzlich nicht notwendig, und 77 Prozent der Professoren hielten die vorliegende Rechtschreibreform für nicht sinnvoll (Hamburger Abendblatt 29.08.97, S. 28, jol: "Magenbitter", SZ 15.9.97, S. 40). Dies entspricht tendenziell allen repräsentativen Meinungsumfragen, nach denen zwischen 75 und 92 Prozent der Bevölkerung die Rechtschreibreform ablehnen. In DIE WELT schreibt Prof. Bernfried Schlerath (Berlin) in einem Leserbrief über die Rechtschreibreform u.a.: "Als Sprachwissenschaftler empfindet man tiefe Scham, daß Kollegen es gewagt haben, ein in den Grundtendenzen so verfehltes und mit peinlichen Fehlern behaftetes Machwerk zu präsentieren." (WELT vom 19.09.97). "Die Rechtschreibreform wird sich nach Einschätzung des bisherigen Vorsitzenden des Deutschen Germanistenverbandes, Prof. Jürgen Fohrmann, nicht durchsetzen. Die Reform sei offenkundig nicht durch 'vielfältigen Gebrauch' in der Sprachgemeinschaft legitimiert, sondern 'über die Köpfe von vielen, die es eigentlich nicht wollen, beschlossen worden', sagte er anläßlich des gestern in Bonn eröffneten Deutschen Germanistentages 1997." (Allgemeine Zeitung Mainz, 22.09.97, S. 3). "Die Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen ermittelte im August, daß 71 Prozent der Befragten die Einführung der neuen Schreibweise ablehnen. Nur 15 Prozent sprechen sich dafür aus. In allen im Bundestag vertretenen Parteien überwiegen die Gegner der Reform." (Nordwest-Zeitung 30.08.97). Allein die acht größten von über 50 Initiativen in Deutschland sammelten bis zum 1. Oktober 531.000 Unterschriften gegen die Rechtschreibreform. Dagegen kamen die beiden Initiativen für die Fortführung der Rechtschreibreform auf nur 5.300 Unterschriften. (Vgl. Der 'stille' Protest. Widerstand gegen die Rechtschreibreform im Schatten der Öffentlichkeit; Briefe, Eingaben und sonstige Schriftstücke. Leibniz-Verlag, St. Goar 1997, S. 101).
Frischen Wind bringen insbesondere die inzwischen alten "jungen Wilden" der CDU/CSU, die nicht mehr um einen Listenplatz ihrer Partei fürchten müssen und Teile der Jungen Union in die Geheimzirkel der Schul-, Jugend- und Wörterbuchverlage und ihrer Lobby, der Reformer und Kultusminister. Ohne falsche Rücksichtnahme auf diese "Seilschaften" und deren Erbhöfe und Pfründen in den Kultusministerien argumentieren sie gegen die sog. Rechtschreibreform. Die Junge Union Bezirksverband Mittelfranken bat darum, ihren Beschluß vom 17.09.1997, der auch im Bayernkurier vom 11.10.1997, dem Parteiorgan der CSU, abgedruckt wurde, in das Internet aufzunehmen:

Beschluß:
Die Bezirksvorstandschaft der Jungen Union Mittelfranken spricht sich nachdrücklich gegen die geplante Rechtschreibreform aus.

Begründung:
Die deutsche Sprache ist wie jede Sprache etwas Gewachsenes. Sie kann nicht so einfach und radikal 'verbessert' werden. Die Reform stellt zudem keine Vereinfachung dar, wie vielfach behauptet wurde, sondern sorgt nur für Verwirrung. Die Regeln sind kompliziert und in sich widersprüchlich ('Es tut mir weh', aber 'Es tut mir Leid', 'segelfliegen', aber 'Rad fahren"). Weiterhin sind extrem viele Ausnahmen zu diesen Regeln zu finden, was die Rechtschreibung nicht eben vereinfacht. Eine wirkliche Vereinfachung wäre es zum Beispiel gewesen, das ungeliebte ß ganz durch ss zu ersetzen. Statt dessen soll es nur nach kurzem betonten Vokal wegfallen (Fass statt Faß, Fluss statt Fluß, aber: Maß, fließend). Da in den verschiedenen Regionen Deutschlands unterschiedliche Dialekte und Sprachweisen verbreitet sind, dürfte es schwer werden, diese Regelung durchzusetzen. Eine weitere Schwierigkeit taucht bei der Schreibung von Fremdwörtern auf. Fremde Worte werden ungeachtet ihrer Herkunft eingedeutscht. Dies entspricht nicht dem europäischen Geist. Man sollte also entweder mehr Respekt vor anderen Sprachen haben, oder gleich so konsequent wie Frankreich auf eine reine Sprache achten (Delphin .- Delfin, Spaghett - Spagetti, Thunfisch - Tunfisch, Orthographie - Orthografie, aber: Apotheke, Strophe).

Für die Bevölkerung ergeben sich Nachteile: Ältere Mitbürger müssen sich radikal umstellen, da ansonsten eine Schüler- und Amtssprache entsteht. Im ungünstigsten Fall gibt es dann also zwei deutsche Sprachen, wie dies in der 'Dresdner Erklärung der Kultusministerkonferenz zur Neuregelung der Rechtschreibung' vom 24./25. Oktober 1996 in Punkt 2 erwähnt ist ('Tatsächlich betrifft die geplante Neuregelung ausschließlich das Schreiben in Behörden und Schulen'). Dies sollte nicht die Absicht dieser 'Reform' sein.

Es erscheint unsinnig, ein Vorhaben mit derart weitreichenden finanziellen Konsequenzen zu realisieren. Schließlich müssen nicht nur die Lese- und Sprachbücher in den Schulen ausgetauscht werden, was ja sowieso eine immensen Kostenaufwand bedeutet, sondern nach und nach die gesamte Literatur. Wie sonst soll man es einem Schulkind erklären, daß das Jugendbuch, das es gerade liest, falsch geschrieben ist?

Zu kritisieren ist auch die Vorgehensweise der Kultusministerkonferenz. Bis zur 'Gemeinsamen Absichtserklärung zur Neuregelung der deutschen Rechtschreibung' wurde jede ernsthafte öffentliche Diskussion darüber vermieden. Dies ist den Verantwortlichen insofern vorzuwerfen, als die Neuregelung jeden Bürger betrifft. Diese Vorgehensweise fördert die so oft beklagte Politikverdrossenheit.

An vielen Schulen wird bereits nach der neuen Rechtschreibung unterrichtet, was angesichts des offiziellen Einführungstermins 01.08.98 ebenfalls auf Unverständnis stößt. Bei näherer Betrachtung entsteht also der Eindruck, daß diese Reform eine 'Kabarettnummer' oder auch ein 'politisches Intermezzo' darstellt. Das Einführungsdatum für die Rechtschreibreform ist auf den 01.08.1998 festlegt. Es ist also noch nicht zu spät, die Neuregelung zu stoppen. Daher sind die Schul- und Wörterbuchverlage, die bereits nach den neuen Regeln arbeiten, auch keineswegs zu bemitleiden bezüglich der nach den neuen Regeln gedruckten Auflagen und des ihnen durch Rücknahme der Bücher eventuell entstehenden Schadens, da alle Neuausgaben mit veränderter Rechtschreibung auf eigenes Risiko entstanden sind. Hinzu kommt, daß sich auch neuen Regelungen durch Überarbeitung ständig ändern, so daß letztlich die 'neuen' Schulbücher auch schon wieder veraltet sind. Dies gilt ebenso für die Wörterbücher (z.B. Duden etc.).

Die Junge Union Mittelfranken wendet sich nicht gegen eine Vereinfachung der Rechtschreibung. Sie hat jedoch weder für eine unverständliche, unlogische und gewaltsame Umschreibung der Rechtschreibregeln Verständnis, noch für die seltsame Vorgehensweise der Kultusministerkonferenz bei der Durchsetzung der Neuregelung. Max Freiherr von Gagern, Stephanie Jacobs, Jutta Waldshöfer." (leicht gekürzt im Bayernkurier vom 11.10.97, S. 8).

Nach dem Abdruck dieses Beschlusses der Jungen Union mußte sich der Bayernkurier wohl einige Beschwerden über zuviel Pressefreiheit und zuwenig Fraktionsdisziplin anhören, denn prompt kam zugleich mit einer Lobhudelei des Pressesprechers Zehetmairs, Toni Schmid, auf die Rechtschreibreform, am 18.10.97 die Feststellung des Bayernkurier, er wolle "nach vielen Wochen lebhaftester Debatte" die Diskussion über das Thema "Rechtschreibreform" vorläufig beenden. Das ist ein schlechter Witz, denn eine solche Diskussion gab es im Bayernkurier bisher nur über das Wort "Kohlenstofffreiheit". Eine eigentliche Diskussion, d.h. Argumente und Gegenargumente über wesentliche Aspekte der Reform, fand bisher im Bayernkurier überhaupt nicht statt. Der Bayernkurier demonstriert hier jene Art obrigkeitsstaatlichen Demokratieverständnisses, die dazu führen wird, daß die CSU bei der kommenden Wahl ihre absolute Mehrheit verlieren wird.

Im Bertelsmann-Konzern arbeitet eine nahe Verwandte Toni Schmids. Insofern bestehen dorthin informelle Beziehungen. Ähnlich wie ein Richter in einer solchen Situation einen Fall wegen Befangenheit niederlegen muß, hätte Toni Schmid sich aus Fragen der Rechtschreibreform heraushalten müssen bzw. hätte Kultusminister Zehetmair Toni Schmid wegen Befangenheit ablösen müssen, um den Verdacht einer Amigo-Affäre auszuräumen.


Kurz nach dem Beschluß der Jungen Union Mittelfranken gegen die Rechtschreibreform feierte die Nachwuchsorganisation von CDU und CSU, die 145.000 Mitglieder starke Junge Union, auf ihrem Deutschlandtag am 26.10.97 in Magdeburg ihr 50jähriges Jubiläum. Dabei forderte die Junge Union mit großer Mehrheit einen sofortigen Stopp der Rechtschreibreform (DIE WELT 27.10.97, S. 2). Zugleich forderte auch die Bundesvorsitzende des Deutschen Elternvereins, Heidemarie Mundlos, Braunschweig, die Kultusminister auf, den "Alptraum der sogenannten Rechtschreibreform" sofort bundesweit zu stoppen (DIE WELT 29.10.97, S. 7).


Die Lage in Österreich

In Österreich gibt es die Sprüche vom lieben Augustin: "Wissen' S, was die Rechtschreibreformer für mi san? - Waschechte Murxisten!" (Die ganze WOCHE Nr. 32, 1997). Nach den Beschlüssen der Verwaltungsgerichte Wiesbaden, Hannover, Gelsenkirchen und Dresden und der Oberverwaltungsgerichte Lüneburg und Bautzen steigt in Österreich und der Schweiz die Hoffnung der überwältigenden Mehrheit der Bürger auf einen Ausstieg Deutschlands, aber auch die Angst einiger Schulverwaltungsbürokraten vor dessen Auswirkungen. Bei den Staatsbeamten in Österreich und der Schweiz zeigen sich sowohl eine Unselbständigkeit und schicksalsergebene Abhängigkeit von Deutschland hinsichtlich der deutschen Entscheidungen über die Rechtschreibreform, als auch ein Aufbegehren gegen die völlig ungenügende und überflüssige Rechtschreibreform. So leisten z.B. die Landesschulratspräsidenten Wiens, Oberösterreichs und Salzburgs vehementen Widerstand gegen die unerwünschte Rechtschreibreform (Hannoversche Allgemeine Zeitung 08.08.97).

" "Österreich wird die Rechtschreibreform sicher nicht im Alleingang stoppen oder durchziehen." Mit dieser Stellungnahme reagiert die österreichische Unterrichtsministerin Gehrer auf den Streit über die Durchsetzung der Reform in Deutschland. Der Wiener Zeitung "Kurier" sagte Elisabeth Gehrer, sie habe nie einen Hehl daraus gemacht, daß diese Reform nicht ihr Wunschkind sei. Falls sich Deutschland wirklich zu einer Verschiebung oder gar zur Aufgabe durchringe, werde Österreich "nicht wie ein Musterknabe die Reform im Alleingang einführen." " (Österreich macht Rechtschreibreform nicht allein. In: FAZ 11.03.97, S. 4). - "Sollte die Rechtschreibreform in Deutschland jedoch wider Erwarten gestoppt werden, entsteht ... eine neue Situation. Es muß dann wieder eine Konferenz aller Staaten mit deutscher Sprache geben, und dann wird man voraussichtlich die Reform in Form von Staatsverträgen neu beschließen müssen." (FAZ 19.08.97, S. 3). Unser Kommentar: Achtung! Mit Hilfe eines Staatsvertrages kann man auch in einer Demokratie am Volk vorbeiregieren und versuchen, die schwachsinnige Rechtschreibreform gegen den mehrheitlichen Willen der Bürger einzuführen.


Die Schweiz wartet ab!


 
Anmerkung:
Für die Vollständigkeit der Initiativen kann keine Gewähr übernommen werden, da es sich gezeigt hat, daß manche Initiativen nur in der örtlichen oder regionalen Presse wahrgenommen und weder von den Nachrichtenagenturen noch von den bundesweiten Medien registriert werden. Wer weitere Initiativen kennt, möge sie uns mitteilen.




Hilde Barth, Lehrerinitiative Baden-Württemberg, Eningen unter Achalm; Dr. Günter Behme, Fremdsprachenlehrer-Initiative, Schwerte; Gisa Berger, Gesamtschulrektorin, Lehrerinitiative Berlin; Hanno Blohm, Lehrerinitiative Niedersachsen, Seesen (Harz); Prof. Dr. Theodor Ickler, Universität Erlangen-Nürnberg; Günter Loew, Lehrerinitiative Hessen, Rodenbach bei Hanau; Stephanus Peil, Lehrerinitiative Rheinland-Pfalz, Westerburg; Manfred Riebe, Bundesweite Initiative "Wir Lehrer gegen die Rechtschreibreform & für eine einheitliche, systematische Rechtschreibung" (Dachorganisation der Lehrerinitiativen) und "Verein für deutsche Rechtschreibung und Sprachpflege", Schwaig bei Nürnberg; Dr. Maria Theresia Rolland, Sprachwissenschaftlerin, Lehrerinitiative Nordrhein-Westfalen, Bonn; Norbert Schäbler, Lehrerinitiative Bayern, Hösbach (Unterfranken); Prof. Dr. Christian Stetter, RWTH Aachen; Prof. Dr. Werner H. Veith, Mainzer Hochschullehrerinitiative.

Schwaig, den 04.11.1997

Manfred Riebe, OStR, stellvertretend unterzeichnet für die oben Genannten